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SCHLECHTE FOTOS ZERSTÖREN SICH VON SELBST S.R.

„Die Fotografien von Olaf Martens lassen niemanden kalt“ hat der Kurator Harald Kunde die häufig hitzigen Reaktionen auf deine Werke einmal beschrieben. Während die einen hochartifizielle Ikonen des Zeitgeistes entdecken, sprechen die anderen vom mangelnden Kunstcharakter eines Kommerzkitsches. Fühlst du dich manchmal missverstanden? O.M. Kommerzkitsch ist Kunst. Angewandte und Auftragskunst hat schon immer eine Riesenrolle gespielt. Das so genannte „Kunst“-Monopol haben heute die Museen. Da wird viel cleaner Schund gesammelt, den niemand braucht. Wofür sind die Museen da? Das Ego einzelner zu befriedigen oder wirklich bestimmte Objekte für die Nachwelt zu erhalten? Ich finde diesen künstlichen Gegensatz zwischen elitärer Verkunstung und Alltag falsch. S.R. „Dass er aus dem Osten kam ist und bleibt seine Stärke“ schreibt der Kosmopolit F.C. Gundlach im Vorwort zu Deinem ersten Buch und setzt bewundernd nach: „… aber beileibe nicht seine einzige“. Klaus Honnef spricht von der ungestümen Kraft des Aufbruchs aus dem Osten, der frischen Luft, die du in die Fotografie hineingebracht hast. Wie siehst du die Relevanz deiner Herkunft selbst? O.M. Ich denke, diese Herkunft ist ganz entscheidend für mich. Die Mauer war ja auch eine Bildermauer. Man kannte viele Trends gar nicht, musste sich also auch nicht danach richten. Es gab nicht diese geballte Medienmacht. Ich hatte mehr Zeit nachzudenken. So konnte viel ruhiger und langsamer etwas eigenes entstehen. Kurioserweise werden heute in mancher meiner Fotografien von vor zwanzig Jahren angebliche Zitate entdeckt von Fotografen, die ich erst Jahre später entdeckte. Diese Arroganz, Originalität und Epigonentum zu verwechseln, ist teilweise grotesk. S.R. Welche Rolle spielt dieses spezifische Klima in der DDR für deine frühen, teils dokumentarischen, aber auch hyperrealen, erotischen Szenarien mit Freund(inn)en statt Models, durch die du bekannt geworden bist? O.M. Das Verrückte war ja: Im Osten gab es diesen ganzen Erotikmarkt überhaupt nicht. Keine Vorbilder, keine Preise, keinen Markt. Der Umgang, auch der sexuelle Umgang war viel unkomplizierter als heute. Offiziell war alles total prüde reglementiert. Aber im Privaten gab es eben diese großen Ausbrüche und Abenteuer, einfach um zu überleben. Der Westen hingegen war doch viel prüder, als er zunächst wirkte. Und dieser riesige Markt steht nur für den Versuch, sich irgendwie Ersatzbefriedigungen zu verschaffen für all die unerfüllten Bedürfnisse. Ich denke schon, dass man dies auf meinen Fotos sieht. S.R. Nach dem Etikett des Shootingstars aus dem Osten in den 1990ern bist du heute in der internationalen Mode- und Lifestylewelt, einer Bilderflut, die vor makelloser Schönheit und aufreizender Nacktheit nur so strotzt, angekommen. Inwieweit hat dieser neue Markt deine künstlerische Entwicklung geprägt? O.M. Natürlich ist es heute viel anstrengender geworden, Zeit und Geld für eigene „freie“ Projekte herauszuschinden. Viele Freiheiten sind nur Vogelfreiheiten. Es gibt neue, ganz andere Zwänge zu überleben. Aber mich reizt dieses Neue auch. Die ganz große Herausforderung für mich ist wirklich beides zu schaffen: Kunst und Leben, Freie Projekte und Auftragsarbeiten. Ich kann bei jedem Auftrag im angewandten Bereich etwas für mich herausholen, das ich sonst so nicht realisieren könnte. Kunst kommt vom Können, vom Machen. Diese Welthaltigkeit, dieser Grenzgang ohne Glasglocke, Elfenbeinturm oder irgendwelche Stipendien, ist für mich genau die Herausforderung, die ich brauche. S.R. Gibt es heute für dich dabei so etwas wie Schamgrenzen und Bilderverbote, Tabus oder ungeschriebene Gesetze, die dich zu Grenzüberschreitungen in deiner Arbeit provozieren? O.M. Die Kunst heute besteht darin, sich mehr abzuschotten von dem ganzen Mist, der kursiert, und strenger auszuwählen, mit welchen Bildern man sich überhaupt auseinander setzt. Weniger ist mehr. Die einfachen Dinge zu machen, ist das schwierige. Dabei gibt es in weiten Bereichen ein Gesetz, nur
die schönen, gefälligen, unwichtigen Dinge zu fotografieren. Man möchte eben verkaufen: Bilder, Auflagen usw. Mein Stolz ist ja, dass die Männermagazine bei mir immer noch nicht Schlange stehen, obwohl ich von den gängigen Versatzstücken: Brüste, Pos, lange Beine usw. einiges biete. Die Medien haben ein untrügliches Gespür dafür, wo sie – und sei es durch leichte Abweichungen oder selbstironische Reflexionen – nicht mehr bedient werden. S.R. Du bist für deinen Perfektionismus und manchmal auch pedantischen Gestaltungswillen bekannt. Welche Rolle, würdest du selbst sagen, spielt das scheinbar Zufällige, Unbewusste, das sich Bahn bricht in deinen Bildern, wenn du sie selbst im Nachhinein betrachtest? O.M. Die Dinge, die scheinbar ungewollt geschehen, sind die wichtigen. Die so genannten Kreativen, die alles kontrollieren und planen wollen, verhindern sehr viel, um dem Kunden ja in seinen Erwartungen hundert Prozent gerecht zu werden. So verbaut man sich neue Wege. Was reflektiert denn die Kunst? Immer das Leben, den Alltag, das, was da ist, gesehen wird, dem man ausgesetzt ist, oder sich aussetzt. Heute hat jeder Angst vor Zufälligkeiten. Jeder möchte hundert Prozent Sicherheit und Kontrolle. Die Risikobereitschaft fehlt. Für mich ist in der Fotografie der Mensch das Maß aller Dinge. Eine bestimmte Cleaness als Allheilmittel, bzw. Menschenflucht in der perfekt ausgeleuchteten und geplanten Fotografie langweilt mich. S.R. Dabei wird dir bei der Visualisierung sexueller Projektionen oft Machismo unterstellt. Andererseits strotzen deine Fotos häufig von starken Frauen, die ihre männlichen Gegenüber lustvoll zu domestizieren wissen. Was interessiert dich am Machtkampf und -spiel zwischen Mann und Frau? O.M. Für mich ist Sexualität der stärkste Trieb, der unser Verhalten bestimmt: Essen, trinken oder atmen. Geburt, Tod, Sexualität. Das sind die starken Kräfte. Da formiert sich alles, entsteht alles. Das ist die Triebfeder für alles weitere. Das irgendwie auf den Punkt zu bringen, ist für mich das entscheidende. S.R. Vielleicht müssen Künstler, um immer wieder etwas Neues produzieren zu können, besessen sein. Wie würdest du deine eigene Sucht, fotografieren zu müssen, beschreiben? O.M. Schon als Bewusstseinserweiterung, als Droge. Einfach die Lust und Möglichkeit, eine andere Welt für sich aufzumachen, in eine andere Welt einzudringen – eine Art Welterfindungslust – aber auch Weltflucht, die absolut zu mir gehört: „We are such stuff, dreams are made of“. Diese Lust am Visuellen, das war schon als Kind so. Eben visuell und nicht auf andere Weise zu verarbeiten und zu kommentieren, was ich erlebt habe. S.R. Nach welchen Fotos, Blicken, Bildern sehnst du dich? O.M. Malerei, klassische Malerei, italienischer Manierismus, aber auch Caravaggio. Einfach die konkrete Form, auch Stofflichkeit, das Handwerk und Können, das einen immer wieder erstaunt. S.R. Welche Bilder würdest du gerne zerstören? O.M. Gar keine. Schlechte Bilder zerstören sich von selbst. Das Gespräch mit Olaf Martens führte Sabine Reinhard im Mai 2004.